Zur
Zeit der Leibeigenschaften bis 1861 als noch billige Hilfskräfte
in Hülle und Fülle zur Verfügung standen, gab es in Rußland
kaum ein Herrenhaus, wo es nicht Jagdbarsois, zum Teil auch
Greyhounds sowie sog. Jagd-Parforcehunde gehalten oder gezüchtet
wurden. Das Buch „Die Perchinojagd“ von Dimitri Walzoff
aus 1912 (Verlag: Ursula Brendel, Hamburg) beschreibt die
Geschichte der schon zu seinen Zeiten berühmten
Barsoijagdzucht des russischen Großfürsten Nikolai
Nikolaijewitsch im Dorf Perchino am Ufer der Upa, ca. 30 km
von Tula entfernt.
Die
Dimension seines Zwingers ist für heutige Verhältnisse kaum
vorstellbar. Zu seinem Jagdzuchtzwinger gehörten 365 Hunde
(100 Parforcehunde, 130 Barsois und 15 Greyhounds für den
Jagdgebrauch sowie Althunde und Welpen) und 87 Pferde (20 für
Treiber, 50 für die Barsoikoppeln und 17 Fahrpferde). Der
Personalbestand betrug 78 Personen (Verwalter, Kutscher,
Treiber, Barsoijäger, Welpenpfleger, Betreuer für
Hundelazarett usw.). Aber es gab auch noch größere Jagdhöfe,
wie beispielsweise der des Smolensker Gutsherrn Samsonoffs mit
ca. 1.000 Hunden. Wenige begüterte Jäger hielten dagegen nur
einige Koppeln Barsois, mit denen sie sich unter anderem auch
an „Versammlungsjagden“ ihrer Gutsherrn beteiligten.
Hunde
und Pfleger wohnten in der Perchinojagd aus praktischen Gründen
im selben Gebäude. In den Hunderäumen waren an den mit Holz
verkleideten Innenwänden Schlafbänke mit sehr viel Stroh,
damit sich die Windhunde tief eingraben konnten. Zur
Grundreinigung der Ausläufe wurden diese einmal jährlich
gepflügt und mit Hafer besäht, der regelmäßig gemäht
wurde. Die Haltung von Welpen verschiedenen Alters in
gemeinsamen Ausläufen wurde wegen der Belästigung der jüngeren
Welpen durch die älteren (Mobbing) abgelehnt. Aber auch die
Zahl der erwachsenen Hunde wurde auf max. 12 je Zwingerabteil
begrenzt. Zur Zucht wurden nur (mind. 2jährige) Rüden
genommen, die sich schon im Jagdfeld bewährt haben.
Interessant sind die Ausführungen über die
Parforcejagdhunde, die laut Walzoff „viel kräftiger und vor
allem robuster als die Windhunde sind: Auch die Welpen leben
dort in einem verwilderten Garten wie im Walde, haben einfache
Zelte mit Strohdächern und ständig (auch im Winter) offene Türen“.
Anfang
September ging die Wolfsjagd los, weshalb die Hunde ab August
intensiv trainiert wurden (täglich rd. 17 km in Trab und
Schritt am Pferd). Die Barsoikoppeln bestanden aus zwei jungen
Hunden (i.d.R. Rüde und Hündin) und einem erfahrenen Wolfsfänger
(Rüde).
Während
der einmonatigen Anwesenheit des Großfürsten Nikolai
Nikolaijewitsch auf dem Gut wurden bis zu 24 große Jagden
veranstaltet. Sie waren zugleich ein gesellschaftliches
Ereignis. Die ganze Jagdführung wurde mit peinlicher
Genauigkeit – meist persönlich vom Großfürsten –
geplant. Es ist erstaunlich und aus heutiger Sicht
befremdlich, von wie viel Haß die Jagd auf Wölfe geprägt
war. In der älteren Literatur (z.B. in der Deutschen Jäger-Zeitung,
1912) wird von – wahrscheinlich weit übertriebenen –
„großen Wolfsplagen“ und von „äußerst schädlichem
Wild“ gesprochen. Mit entsprechender Hingabe wurde die Jagd
auf Wölfe geführt. Die russische Jagdtechnik war folgende:
Ein Gebiet wurde in Jagdreviere aufgeteilt und von den Jägern
mit Hunden in weitem Kreis umstellt. Da das personell nicht lückenlos
zu bewältigen war, wurden zusätzlich Fangnetze gezogen und
viele Reiteraufseher hingestellt. So wurde eine riesige Kette
gebildet. Nach erschallen des Jagdhorns begann die Jagd. Die
sog. „Aufspürer“ ritten mit ihren (bis zu 60)
Parforcejagdhunden in den Wald um das Wild auf das offene Feld
zu treiben. Bei der Jagd auf Fuchs und Hase erfolgte keine
„gemischte Arbeit“, d.h. nur die Koppeln ein und desselben
Besitzers durften das Wild hetzen, während die anderen warten
mußten bis die an der Reihe waren. Nicht so bei der
Wolfsjagd. Dort mußten alle Jäger auf einmal alle ihre Hunde
freilassen. Der Wolf hatte es somit wesentlich schwerer als
das andere Wild. Alle lebend gefangenen Wölfe wurden
geknebelt und für eine kurze Zeit wieder in das Feld gesetzt,
damit sich die Junghunde (die noch nicht für die Jagd
ausgebildet waren) sich an die Wölfe „gewöhnen“ konnten.
Die
Herbstjagden galten als nicht so interessant, da die Jungwölfe
noch klein, ungeschickt und wenig kampfstark waren. Die
Winterjagd galt als die spannendere. Die Wölfe wurden ab dem
Herbst mit Lockspeisen gefüttert und so in die späteren
Jagdreviere gelockt. Wenn im Winter die Jäger dort Fußspuren
von Wölfen fanden, wurde das Revier sofort umzingelt. Die
Hunde wurden auf mehreren Frachtschlitten herangefahren. Da
die Wölfe die Schlitten – im Gegensatz zu den Reitern -
nicht fürchteten, war es möglich ziemlich dicht an die
Wolfsrudel heranzukommen. So gelang es dabei nicht selten in
nur 1 ½ Stunden bis zu 10 Wölfe zu fangen bzw. zu töten.
Begeistert schreibt Walzoff in seinem Buch:“...was für ein
Prachtkerl. Im Schlitten lag ein riesiger Wolf, welcher die
Ohren fest an den Kopf preßte und mit seinen grünlich
schillernden Augen boshaft nach den seine breite Stirn
streichelnden Hände blickte. Der fest zwischen seinen Zähnen
befestigte Knebel und seine gefesselten Pfoten gestatten ihm
nicht, seinen Haß anders auszudrücken“.
Nach
Beendigung der Jagd des Großfürsten erhob sich ein
malerisches Bild von Menschen, Pferden und Hunden. Unter
Zeltplanen wurden auf einer mit weißem Tischtuch bedeckten
Tafel die besten Weine und ein Imbiß serviert und bald blies
das Jagdhorn zum Aufbruch zurück in heimische Gefilde.
Nun
– liebe Leser – wenn Sie über das hier gelesene
vielleicht ein leichtes Unbehagen empfinden sollten, vergessen
Sie bitte nicht: Auch bei uns wurde der Haß auf Wölfe zu
allen Zeiten geschürt. Auch wir haben es fertiggebracht alle
Wölfe in Mitteleuropa auszurotten. Und selbst heute ist es
noch so: wenn ein einsamer Wolf sich aus den Karpaten in
deutsche Wälder verirrt, bricht sofort in den Medien eine
Massenhysterie aus, und unsere Jäger werden nicht müde bis
sie die bedauernswerte Kreatur gemeinschaftlich „zur Strecke
bringen“ (wie es in ihrer Fachsprache heißt).